«Frauen haben weniger Geld und machen weniger daraus»

Mit dem Projekt EVA möchten die Gründerinnen Frauen Finanzwissen vermitteln und ihnen zu mehr finanzieller Unabhängigkeit verhelfen. Wir haben uns mit Dagmar Hasler, Co-CEO von EVA, unterhalten.

Wie bist du auf die Idee gekommen, EVA zu gründen?

Die Idee entstand bei meiner Tätigkeit als Geschäftsführerin bei der bEST inWEST AG. Wir bewegen uns dort unter anderem im Private-Equity-Bereich und es fällt immer wieder auf, wie wenig Investorinnen anzutreffen sind. Ich habe mich dann während Monaten intensiv mit dem Thema Frauen und Finanzen auseinandergesetzt und immer wieder festgestellt, dass es bei diesem Thema an allen Ecken und Enden mangelt. Mir wurde klar: Ich muss unbedingt etwas hinsichtlich Frauen und Vermögensaufbau auf die Beine stellen.

Wie lange beschäftigt dich das Thema Frauen und Finanzen schon?

Das Thema Finanzen begleitet mich aufgrund meines Studiums und Berufes schon seit einigen Jahren. Das Thema Female Finance und die damit einhergehenden Problematiken wurden mir aber erst in den vergangenen Jahren so richtig bewusst. Und immer stärker, seit ich selbst Kinder habe und sehe, vor welche Entscheide und Herausforderungen man gestellt ist. Und auch wie schnell man in einer finanziellen Abhängigkeit landet, ohne sich weiter über die Konsequenzen Gedanken zu machen.

Was war für dich ein Moment mit Aha-Effekt?

Bei einer Studienarbeit für eine NGO in Barcelona habe ich eine ältere Frau kennengelernt, deren Mann vor kurzem verstorben war. Sie hatte mir erzählt, dass sie aufgrund des Todesfalls ihres Mannes nun finanziell so schlecht dasteht, dass sie es sich nicht einmal mehr leisten kann, ihre Wohnung während des Winters zu beheizen. Auch die Winterzeit in Barcelona kann unangenehm kalt sein. Das ist vielleicht ein extremes Beispiel, aber das ist mir ziemlich «eingefahren». Es zeigt klar auf, wie es enden kann, wenn man sich nicht aktiv um die Altersvorsorge kümmert. Umso mehr ich mich ins Thema eingelesen habe, umso bewusster wurde mir, welches Ausmass das Ganze hat, wie viele unterschiedliche Faktoren mit einfliessen und wie viele Bereiche es umfasst.

Welche Zahlen oder Fakten haben dich überrascht?

Ganz viele! Frauen erhalten in der Schweiz im Schnitt CHF 20‘000 weniger Altersrente. 2021 floss in Europa lediglich 1 % des gesamten Wagniskapitals an weibliche Unternehmerinnen. 70% der Frauen weltweit kümmern sich nicht aktiv um ihre eigenen Finanzen, und über 70 % bezeichnen ihr Finanzwissen als schlecht. 1.87 Billionen würden zusätzlich in verantwortungsvolle Investitionen fliessen, wenn Frauen weltweit gleich viel investieren würden wie Männer. Egal ob jung oder alt, vermögend oder nicht, es zeigt sich in allen Studien, die ich zum Thema gelesen habe, immer wieder dasselbe Bild: Frauen verfügen grundsätzlich über weniger Geld und machen auch weniger daraus.

Was sind die Gründe für den Gender Pension Gap?

Erwerbspausen, Teilzeitpensen, unbezahlte Care-Arbeit und die Lohnlücke: Das alles führt dazu, dass Frauen vor allem deutlich weniger in die 2. Säule einzahlen und folglich auch weniger Rente erhalten.

Was können Frauen in Bezug auf die Altersvorsorge tun?

Sich aktiv mit dem Thema beschäftigen und die eigenen Finanzen selbst managen. Finanzen gehören in die eigenen Hände. Jede Frau, egal ob jung oder alt, sollte sich Wissen zum Thema aneignen und eine eigene Strategie für langfristige Finanzentscheide wie die Altersvorsorge definieren. Und wer in einer Beziehung ist, sollte sich mit dem Partner austauschen. Egal, ob dann die Finanzen gemeinsam oder getrennt gehandhabt werden. Aber man sollte immer Eigenverantwortung übernehmen und bewusst mitentscheiden.

Welche Fallen sollten Frauen vermeiden?

Sich nicht mit seinen Finanzen auseinandersetzen und sich auf andere verlassen. Denn egal, welches Familienmodell man für sich wählt und wie die Rollenverteilung ist: Man sollte immer den Überblick bewahren und sich aktiv für eine gute Absicherung einsetzen.

Was sind die Gründe für den Gender Investment Gap?

Nicht nur, dass Frauen bei Gehaltsverhandlungen schlechter abschneiden. Frauen finden sich oftmals in schlechter bezahlten Berufen wieder, weil sie eben nicht Fondsmanagerin oder Ingenieurin werden, sondern einen sozialen Berufen wählen. Bekommen sie Kinder, legen viele eine Erwerbspause ein und kehren in Teilzeit zurück. Frauen verfügen aber nicht nur über weniger Geld, sie sind dazu auch noch risikoaverser. Darum bevorzugen sie Geld sparen gegenüber investieren als vermeintlich sicherere Variante.

Was empfiehlst du Frauen im Umgang mit Geld?

Mutiger und selbstbewusster zu sein. Finanzielle Bildung ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Und das heisst nicht, dass man ein Finanzstudium absolvieren oder Anlageexpertin werden muss. Selbststudium und kleinere Kurse können eine gute Basis schaffen.

Was empfiehlst du Unternehmen in Bezug auf weibliche Angestellte?

Schöpft das Potential aus, fördert aktiv den Frauenanteil auf Führungsebene und setzt speziell für arbeitende Mütter echte Anreize. Unternehmen sollten neue Arbeitsmodelle schaffen, Teilzeitpensen auch in höheren Positionen anbieten, um Frauen in den Arbeitsmarkt zurückzugewinnen oder diese halten zu können.

Was empfiehlst du Unternehmen in Bezug auf Marketing und Verkauf, wenn es um Frauen geht?

Frauen haben andere Bedürfnisse, haben oftmals einen tieferen Wissensstand in Sachen Finanzen und kommunizieren vor allem auch anders. Speziell im Finanzbereich fühlen sich Frauen oftmals nicht richtig gut beraten. Mit massgeschneidertem Service und einer klaren Kommunikation kann ein positives Kundenerlebnis geschaffen werden. Diverse Teams, die bei der Ausarbeitung von Kampagnen oder Produktdesign mitarbeiten, tragen dazu bei, dass die Bedürfnisse von Frauen mehr einfliessen. Auch bei der Auswertung von Daten, speziell im Finanzbereich, sollte berücksichtigt werden, dass die User mehrheitlich männlich sind. Dies kann zu falschen Schlüssen führen, wenn man genderneutrale oder auf Frauen zugeschnittene Produkte entwerfen will.

Und wo siehst du in der Gesellschaft Handlungsbedarf?

Viele sind sich der Problematik in Sachen Vermögensaufbau und Altersvorsorge gar nicht bewusst oder spielen es herunter. Mit EVA wollen wir einen Beitrag leisten die Gesellschaft und insbesondere Frauen auf die Thematik aufmerksam zu machen und sie zu motivieren. Idealerweise unterstützen auch die Männer das finanzielle Wohlergehen von Frauen.

Wie können wir eine Veränderung erreichen?

Das Ganze ist sehr vielschichtig und setzt auf unterschiedlichsten Ebenen an. Es benötigt strukturelle Veränderungen auf Unternehmensebene, gesellschaftliche Veränderungen und auch die politische Unterstützung. Es gibt genügend überzeugende Argumente, weshalb wir Female Finance fördern sollten, sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich gesehen.


Dagmar ist diplomierte Treuhänderin (Liechtenstein) und hat mehrjährige Erfahrung im Treuhandbereich. Sie ist Betriebsökonomin FH mit Vertiefung in Entrepreneurship und hat einen Master in digitalem und direktem Marketing. Sie ist aktuell Geschäftsführerin bei einer Holding und Investitionsgesellschaft. Zudem hat sie grosse Erfahrung im E-Commerce sowie Online-Marketing und ist Mitgründerin eines Online Shops.

Katrin Mirjam Hasler-Dobratz

Katrin ist Inhaberin und Creative Director einer Agentur für Branding, Kommunikation und Design in Zürich. Sie ist in Liechtenstein aufgewachsen und wohnt dort mitten im Grünen. Sie liebt den Mid-Century-Modern-Stil und streichelt gerne Katzen.

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«Frauen müssen mit halb so viel Rente auskommen wie Männer»