«Frauen müssen mit halb so viel Rente auskommen wie Männer»

Mit dem Projekt EVA wollen die Gründerinnen Frauen zu mehr finanzieller Unabhängigkeit motivieren. Wir haben uns mit Katrin Hasler-Dobratz, Co-CEO von EVA, über ihre Beweggründe unterhalten. Und nach Tipps für Frauen gefragt.

Wie lange beschäftigt dich das Thema Frauen und Finanzen schon?

Die beiden Themen habe ich lange eher getrennt betrachtet. Seit 15 Jahren schreibe ich für Finanzdienstleister über Themen wie Altersvorsorge, Sparen, Investieren oder Hypotheken. Und seit mehreren Jahren engagiere ich mich für die Gleichstellung von Frauen und Minderheiten. Aber lange habe ich nicht viel weiter als bis zum Gender Pay Gap und die Gefahr von Altersarmut für alleinerziehende Mütter gedacht. Mir war nicht vollumfänglich klar, wie stark der Unterschied zwischen Frauen und Männern in Bezug auf das Thema Finanzen wirklich ist – auch bei gut ausgebildeten, gut verdienenden Frauen.

Was war für dich der Aha-Effekt?

Vor einiger Zeit schrieb ich einen Beitrag für eine Schweizer Versicherung über das Thema Altersvorsorge für Frauen. Dabei verglich ich die Zahlen in den drei Säulen nach Geschlecht. Während Männer und Frauen in der AHV ungefähr gleich viel Geld bekommen, sind die Unterschiede in der Pensionskasse eklatant. Im Ganzen mussten Frauen mit etwas mehr als halb so viel Rente auskommen wie Männer. Die Zahlen waren so beeindruckend, dass die Projektleiterin auf Seiten der Versicherung es selbst gar nicht glauben konnte. Sie fragte mich nach der Quelle, und die war solide: das Bundesamt für Statistik.

Welche Zahlen oder Fakten haben dich überrascht?

Die Zahlen aus der Statistik haben mich definitiv überrascht. Aber sie machen Sinn. Wie oft arbeiten Frauen Teilzeit, machen längere Pausen oder steigen nach der Babypause zu tieferem Lohn wieder in die Arbeitswelt ein? Natürlich können sie darum weniger in der Altersvorsorge ansparen. Überrascht und doch nicht überrascht hat mich auch ein anderer Umstand: Frauen investieren weniger als Männer, auch wenn sie verfügbares Einkommen haben. Es hat mich deshalb nicht überrascht, weil ich selbst gerne mein Geld auf dem Bankkonto liegen lassen habe, statt es gewinnbringend zu investieren.

Was ist dein Bezug zu Finanzen?

Ich bin kein Zahlenmensch. Ich habe BWL studiert und die Vorlesungen im Finanzbereich waren für mich immer eher eine Qual. Als Firmeninhaberin muss ich mich auch immer wieder mit Finanz- und Vorsorgethemen auseinander setzen. Das schiebe ich immer gerne auf zugunsten von kreativen Aufgaben. Ich kenne mich eigentlich nicht schlecht aus, aber mein Lieblingsthema ist es sicher nicht. Und doch: Eine Offerte für ein neues Projekt zu schreiben, das mache ich gerne. Und die Rechnung schicken, das ist noch besser.

Wie ist das Management der Finanzen bei euch zu Hause geregelt?

Unsere Finanzen sind separat – und doch nicht separat. Mein Mann und ich haben je eigene Konten und verwalten unser Geld selbst. Wir haben aber ein Haushaltskonto und ein weiteres Konto für Reparatur- und Unterhaltskosten, in das wir beide gleich viel einzahlen. Das klingt sehr geordnet, aber die Praxis sieht anders aus: Wer das Portemonnaie dabei hat, zahlt im Restaurant oder Supermarkt. Das ist oft mein Mann. Dafür übernehme ich dann mal grössere Rechnungen. Die Übersicht habe ich schon lange verloren. Wir sind uns einig, dass wir als Ehepaar eine Verantwortung für den jeweils anderen tragen. Und wir betrachten unser Geld in diesem Sinn als geteiltes Gut. Wer entscheidet? Kleinere Beträge jeder selbst, grössere Anschaffungen zusammen.

Du bist Inhaberin einer Kreativagentur. Was sind deine Erfahrungen als Frau in der Branche?

Meine Branche ist ziemlich gut durchmischt in Bezug auf das Geschlecht. Ich arbeite regelmässig mit Männern und Frauen zusammen – sei es auf Kundenseite oder mit Freelancern. Die meisten im Marketing- und Kreativbereich sind ziemlich progressiv und das Arbeitsklima ist angenehm. Und doch: Als ich mich 2017 als Frau selbstständig gemacht habe, war «von Frau geführte Agentur» noch eine Headline in Branchenmagazinen wert. Denn am Ende sind die Führungskräfte und Entscheider immer noch oft Männer.

Was sind deine Erfahrungen als Kundin von Banken und Versicherungen?

Ich erzähle immer wieder gerne die Anekdote, wie mir ein älterer Mann eine Lebensversicherung verkaufen wollte. Ich war gerade 25 und am Anfang meiner beruflichen Karriere. Er wollte wissen, ob ich Kinder haben wolle. Er müsse das wissen, um mir die richtige Lösung zu empfehlen. Ich wusste die Antwort nicht. Er stufte mich daher als «Karrierefrau» ein – in seiner Stimme hörte ich Ablehnung. Dieser Versicherungsvertreter ist der Grund, warum ich bis heute keine Lebensversicherung habe und meine Altersvorsorge lange vernachlässigt habe.

Du hast gesagt, Frauen erhalten nach der Pensionierung weniger Rente als Männer. Was sind die Gründe für den Gender Pension Gap?

Die Gründe dafür sind in unseren gesellschaftlichen Rollenbildern zu finden. Aber auch in fehlenden Strukturen. Einerseits sparen Frauen weniger in der Altersvorsorge an, weil viele weniger arbeiten als Männer. Babypausen, Elternzeit oder Teilzeitarbeit verringern die Einzahlungen in die Pensionskasse und die private Vorsorge. Oft verdienen Frauen auch weniger und ein beruflicher Aufstieg wird durch Teilzeitarbeit massiv behindert. Die Kinderbetreuung ist nicht bezahlt, denn die Gesellschaft sieht Care-Arbeit nicht als echte Arbeit. Das ist ein strukturelles Problem, das meist Frauen trifft. Die wenigsten Männer reduzieren ihr Arbeitspensum auf 20 bis 40 Prozent, um den Grossteil der Familienarbeit zu übernehmen. 

Was können Frauen in Bezug auf die Altersvorsorge tun? 

Arbeiten. Wenn in Teilzeit, dann am besten mindestens 60 Prozent. So werden weiterhin Beiträge in die Pensionskasse eingezahlt und die Chancen am Arbeitsmarkt bleiben intakt. Das ist besonders wichtig, wenn es zu einer Trennung oder Scheidung kommt und die Frau auf sich selbst gestellt ist. Für viele Mütter ist das natürlich eine riesige Herausforderung. Darum müssen Männer ihren Teil in der Familienarbeit mittragen und ihr Pensum allenfalls auch reduzieren. Falls Frauen eine längere Babypause machen oder wegen Kindern in kleinem Pensum arbeiten, sollten sie wenn möglich in der dritten Säule sparen.

Welche Fallen sollten Frauen vermeiden?

Viele Frauen machen die folgende Rechnung: Wenn ich arbeiten gehe und mein Kind in die Kita bringe, bleibt von meinem Lohn nichts mehr übrig. Das stimmt aber nicht. Es bleibt etwas übrig und viel wichtiger: Die Frau bleibt versichert, zahlt in die Pensionskasse ein und ist auf dem Arbeitsmarkt präsent.

Frauen investieren auch weniger. Was sind die Gründe für den Gender Investment Gap?

Ja, auch Frauen mit gutem Einkommen investieren weniger. Sie überschätzen die Gefahr von Verlusten an der Börse und unterschätzen die Gefahr von Inflation. Sie lassen ihr Geld auf dem Sparkonto zu niedrigen Zinsen liegen, statt in Fonds zu investieren – was über zehn, zwanzig oder dreissig Jahre die deutlich bessere Option wäre. Viele Frauen interessieren sich nicht für Geld, wissen zu wenig über Finanzen oder überlassen die Entscheidungen gleich ganz ihrem Partner.

Was empfiehlst du Frauen im Umgang mit Geld?

Behalte die Kontrolle über dein eigenes Geld, damit bleibst du unabhängig. Und sorge fürs Alter vor, indem du regelmässig sparst und dein Geld investierst. Lass dich beraten – von deiner Bank, deiner Versicherung oder noch besser von einer unabhängigen Beraterin.

Das Thema Gender wird auch bei Firmen immer wichtiger. Was empfiehlst du Unternehmen in Bezug auf weibliche Angestellte?

Frauen sind heute sehr gut ausgebildet und für Unternehmen angesichts des Fachkräftemangels eine wertvolle Ressource. Aber es braucht die richtige Kultur, um gerade junge Frauen halten zu können. Starre, patriarchale Unternehmen sind für die meisten Frauen abschreckend. Viele machen sich lieber selbstständig, als in einem sexistischen Klima zu arbeiten. Individuelle Förderung ist wichtig, aber strukturelle Hindernisse für Frauen sind real. Wer sie verneint, ist auf einem Auge blind. Frauen müssen spezifisch gefördert werden und es braucht Strukturen, die auf die Bedürfnisse von Frauen Rücksicht nehmen. 

Was empfiehlst du Unternehmen in Bezug auf Marketing und Verkauf, wenn es um Frauen geht?

Die meisten Kaufentscheidungen treffen Frauen. Und doch ist das Marketing oft immer noch auf Männer ausgerichtet oder bedient sich weiblicher Stereotype. Ich liebe Rosa, aber das ist nicht das einzige Kaufkriterium. Und andere Frauen hassen Rosa. Gerade im Beratungsbereich braucht es mehr Sensibilität gegenüber Frauen und ihren Bedürfnissen. Wenn Frauen sich nicht auf Augenhöhe behandelt fühlen, finden sie eine Anbieterin, die ihnen ein besseres Gefühl gibt.

Und wo siehst du in der Gesellschaft Handlungsbedarf?

Es braucht noch so viel Arbeit, bis Frauen gesellschaftlich gleichgestellt sind. Ein wichtiger Schritt ist das Abbauen von Geschlechterstereotypen. Dazu muss man sagen, dass auch Frauen schädliche Bilder im Kopf haben und damit sich oft selbst und anderen Frauen im Weg stehen. Aber auch Männer müssen sich mit Gleichstellung beschäftigen: Es ist kein Frauenthema, sondern ein Gesellschaftsthema. Nebst Aufklärung braucht es auch bessere Strukturen. Ein wichtiges Thema ist Care-Arbeit: Eine bezahlte Elternzeit kann Familien finanziell stark entlasten. Das Vorsorgesystem sollte sich der gelebten Realität anpassen. Die Zeiten, in denen der Mann Hauptverdiener war und eine Ehe ewig hielt, sind vorbei.

Wie können wir eine Veränderung erreichen?

Wir müssen immer wieder erklären, was das Problem ist. Und was mögliche Lösungen sind. Den meisten Menschen sind Gender Pension Gap und Gender Investment Gap keine Begriffe. Altersarmut sehen sie als Problem von anderen, das sie nicht betrifft. Wir müssen Frauen befähigen und motivieren, finanziell unabhängiger zu werden. Und wir müssen Unternehmen zur Schaffung besserer Strukturen ermuntern, weil sie den Mehrwert von Frauen und gemischten Teams erkennen. Dann muss auch die Politik nachziehen.

Du hast einen Wunsch frei: Was wünschst du dir?

Ich wünsche mir, dass wir viele Frauen mit unseren Botschaften erreichen können. Und dann gemeinsam einen Fonds eröffnen und in Frauen investieren.


Porträt Katrin Hasler-Dobratz

Katrin ist Inhaberin einer Agentur für Branding, Kommunikation und Design in Zürich. Sie hat einen Master in Betriebswirtschaft mit Vertiefung Marketing. Ihr Fokus liegt auf Creative Direction und Brand Management. Sie hat langjährige Erfahrung als Beraterin, Konzepterin und Texterin für Finanz- und Versicherungsunternehmen.



Katrin Mirjam Hasler-Dobratz

Katrin ist Inhaberin und Creative Director einer Agentur für Branding, Kommunikation und Design in Zürich. Sie ist in Liechtenstein aufgewachsen und wohnt dort mitten im Grünen. Sie liebt den Mid-Century-Modern-Stil und streichelt gerne Katzen.

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