«Ich beschäftige mich mit weiblicher Armut»

Wir haben uns mit Lisa Hermann darüber unterhalten, was Frauen* für finanzielle Sicherheit tun können. Und was Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ändern müssen. Die Sozialarbeiterin und Aktivistin Lisa Hermann unterstützt EVA im Advisory Board.

Du bist Sozialarbeiterin. Welche Tipps hast du für Frauen in Bezug auf Vorsorge und Finanzen?

Frauen* sind tendenziell durch Erwerbsunterbrüche wie Schwangerschaft, Teilzeitstellen aber auch durch einen geringeren Lohn finanziell schlechter gestellt. Diese Voraussetzungen erhöhen das Risiko von Altersarmut für Frauen* enorm. Deshalb gilt es auch in diesen Zeiten für die Zukunft finanziell vorzusorgen.

Was ist deine persönliche Motivation, EVA im Advisory Board zu unterstützen? 

Es bietet in meinen Augen einen niederschwelligen Zugang zu Informationen und bringt ein relevantes Thema nun endlich an die Frau*. Mit meiner Sicht als Sozialarbeiterin und Feministin bringe ich gesellschaftlich wichtige Aspekte ins Projekt ein.

Wie lange beschäftigt dich das Thema Frauen und Finanzen schon?

Mit dem eigenen Einstieg ins Berufsleben kamen für mich die ersten Fragen hinsichtlich der eigenen Vorsorge auf. Im Studium zur Sozialarbeiterin entstanden die ersten starken Bezugspunkte zum Thema Armut. Die letzten Jahre beschäftigte ich mich in verschiedenen Projekten und Studien intensiv mit weiblicher Armut.

Was war für dich ein Moment mit Aha-Effekt?

In der intensiven Auseinandersetzung wurde für mich die fehlende Gleichstellung zwischen den Geschlechtern in verschiedenen Aspekten wie den Finanzen oder dem beruflichen Werdegang sehr deutlich. Trotz den seit Jahren selben Forderungen von Frauen* hat sich nur wenig getan für Mann und Frau*. Bei feministischen Forderungen stehen eben nicht nur die Anliegen der Frauen* im Fokus, sondern sie betrachten die Gesellschaft als gesamtes Konstrukt, bei dem es gilt vorhandene negative Rollenbilder aufzubrechen. Ich bin gespannt, was hier in den nächsten Jahren alles vorwärts geht.

Du hast deine Masterarbeit über Armut in Liechtenstein geschrieben. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse für dich?

«Häsch Böda?», eine nicht ganz ernst gemeinte Frage in Liechtenstein, welche die finanzielle Situation des Gegenübers abfragt, zeigt für mich die Relevanz von Geld in Liechtenstein auf. In meiner Erhebung konnte ich über 200 Seniorinnen und Senioren rund ums Thema Armut befragen. In der Studie wurde deutlich, dass es eine Armutsgefährdung sowie Armut in Liechtenstein gibt. Dies wird von Seiten der Regierung aber verneint, jedoch werden auch keine aktuellen Daten erhoben. Liechtenstein ist für mich deshalb ein Land voller Gegensätze. Darüber hinaus hat Armut nicht nur finanzielle Aspekte, sondern bedeutet grosse Einschränkungen in Lebensbereichen wie Gesundheit, soziales Umfeld oder in der persönlichen Entwicklung. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf.

Was sind mögliche Ansatzpunkte für die finanzielle Besserstellung von Frauen?

Um eine Verbesserung der finanziellen Situation von Frauen* voranzutreiben sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen ist es der Bereich der Sensibilisierungstätigkeit, in welcher ein niederschwelliger Zugang zu Informationen rund ums Thema Finanzen, wie in diesem Projekt, ermöglicht wird. Hierin geht es auch um das Bewusstsein über Lohnungleichheiten und die Relevanz von unbezahlter Arbeit (Haushalt, Kindererziehung etc.). Zum anderen braucht es staatliche Mechanismen, die eine berufliche und private Gleichstellung ermöglichen. Das sind zum Beispiel die bezahlte Elternzeit, die es beiden Partnern ermöglicht, an der Erziehung teilzuhaben oder die noch immer ausstehende nationale Gleichstellungsstrategie.

Was können Frauen tun, damit sie finanziell unabhängiger werden?

Vorsorgen: Die Altersversicherungen auch bei Erwerbsunterbrüchen einzahlen und in die Pensionskasse und/oder die 3. Säule einzahlen. In der Partnerschaft klare Abmachungen treffen, wer welche Arbeit übernimmt und wie die Bezahlung aussieht. Auch Haushalt, Hausaufgabenhilfe bei den Kindern und die Fahrt zu den Tennisstunden soll bezahlt werden. Und investieren. Neben dem eigenen Engagement für die finanzielle Unabhängigkeit braucht es aber auch die Verbesserung von staatlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Frauen*.

Du bist auch im Frauennetz Liechtenstein engagiert. Was ist deine Aufgabe und welche Anliegen verfolgt ihr?

Ich bin Vorstandsvorsitzende im Frauennetz Liechtenstein. Das Frauennetz ist ein Dachverband zur Vernetzung von NGOs in Liechtenstein, die sich für feministische Themen einsetzen. Neben der Netzwerkarbeit stehen aber auch politische Stellungnahmen, die Koordination von offiziellen Berichten für die UN oder die Teilnahme an nationalen und internationalen Austauschtreffen auf dem Programm. Unser klares Ziel: die Gleichstellung aller in Liechtenstein voranzutreiben und somit die Chancengleichheit zu erhöhen.

Wo siehst du in der Gesellschaft Handlungsbedarf?

Der Standort Liechtenstein hat in meinen Augen riesiges Potenzial nicht nur hinsichtlich der finanziellen Ressourcen, sich als sozialer und fairer Arbeits- und Wohnraum zu etablieren. In meinen Augen sind hierin klare politische Zeichen hin zu einer inklusiven, familienfreundlichen Gesellschaft, die den Menschen ins Zentrum stellt, nötig. So können unabhängig von Geschlechtsidentitäten, sexueller Orientierung, Religion und Herkunft allen dieselben Chancen ermöglicht werden. Gefragt sind staatliche Rahmenbedingungen, mutige Arbeitgeber, aber auch mehr Toleranz anderem und anderen gegenüber.

Was sollten Unternehmen tun?

Unternehmen müssen attraktive, familienfreundliche und mutige Arbeitgebende sein. Dabei ist es unabdingbar, transparente Lohnstrukturen einzuführen, alle Geschlechter und Altersgruppen in Führungspositionen vertreten zu haben und Teilzeitstellen sowie Co- Leitungen für alle Geschlechter zu ermöglichen. Nur so kann es gelingen, eine inklusive Unternehmenskultur zu haben und über den eigenen Tellerrand zu blicken. Alternative und neue Arbeitsbedingungen sind zudem eine Chance sich neu auszurichten und vorhandene Kompetenzen optimal zu nutzen. Das ist auch etwas, dass meine Generation mittlerweile voraussetzt bei der Suche nach einer Arbeitsstelle.

Du hast einen Wunsch frei: Was wünschst du dir?

Ich wünsche mir soziale und finanzielle Gleichstellung aller Personen in Liechtenstein.


Porträt Lisa Hermann

Lisa Hermann ist Sozialarbeiterin und ist aktuell als Fachperson für Geschlechtergerechtigkeit beim Verein für Menschenrechte und ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzende des Frauennetzes Liechtenstein tätig. Sie hat einen Master in Sozialer Arbeit und ist Expertin im Bereich Armut in Liechtenstein. Herzensangelegenheit für sie die Gleichstellung aller in Liechtenstein.





Katrin Mirjam Hasler-Dobratz

Katrin ist Inhaberin und Creative Director einer Agentur für Branding, Kommunikation und Design in Zürich. Sie ist in Liechtenstein aufgewachsen und wohnt dort mitten im Grünen. Sie liebt den Mid-Century-Modern-Stil und streichelt gerne Katzen.

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«Männer werden für ihr Potenzial eingestellt, Frauen für Leistungen.»

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«Wir müssen an dem gesellschaftlichen Bewusstsein arbeiten»