«Männer werden für ihr Potenzial eingestellt, Frauen für Leistungen.»

Wir haben uns mit Sandra Thurnheer über Frauen in der Geschäftswelt, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und das Thema Geld unterhalten. Die Unternehmerin unterstützt EVA im Advisory Board.

Du bist Unternehmerin. Was ist dein Bezug zu Finanzen?

Ich habe langjährge Berufserfahrung in der Finanzbranche. Meinen Einstieg in die Berufswelt nach dem Studium machte ich im Private Banking, später war ich in diversen Projekten und leitenden Positionen an Banken, Börse und im Portfolio Management tätig.

Was sind deine Erfahrungen als Frau in einer männerdominierten Branche?

Sehr gut! Ich werde oft als Impulsgeberin auf Augenhöhe wahrgenommen.

Was ist deine Motivation, EVA im Advisory Board zu unterstützen? 

Die von EVA adressierten Themen begleiten mich nicht nur als Frau aus der Finanzbranche, sondern auch als Privatperson und Unternehmerin. Gerne möchte ich meine Erfahrung als Unternehmerin und Frau in der Geschäfts- und Finanzwelt weitergeben. Sharing ist tatsächlich caring, denn nicht jede von uns hat das Privileg, sich in Bezug auf Finanzen, Sozialversicherungen und Unternehmertum weiterzubilden.

Wie lange beschäftigt dich das Thema Frauen und Finanzen schon?

Schon sehr lange. Bereits in meiner Jugend habe ich gelernt, wie wichtig es ist, gut abgesichert zu sein. Und dass man (Frau) besser immer finanziell selbstständig ist. Denn wer hilft dir, deine Ideen zu verwirklichen und gibt dir z. B. Kapital für eine Geschäftsidee? Meistens niemand, ausser du selbst.

Was war für dich ein Moment mit Aha-Effekt?

Die Gründung meiner ersten Firma. Mittlerweile habe ich vier Firmen gegründet.

Welcher Fakt überrascht dich?

Frauen gehen als Anlegerinnen ungerne Risiken ein. Warum träumen wir nicht «big»?

Was können Frauen tun, damit sie finanziell unabhängiger werden?

Sich so gut verkaufen, wie sie sind. Frauen unterschätzen sich immer. Es ist empirisch bewiesen, dass Männer wegen ihres Potenzials eingestellt und entlöhnt werden. Frauen nur für bisher bewiesene Leistungen. Somit sind wir immer einen Schritt hinten dran. Viele Frauen berichten mir, dass sie immer doppelt so hart arbeiten müssen wie Männer. Klar: Jeder Schritt muss sitzen. Potenzial sieht die Berufswelt in uns Frauen eher nicht. Aber Disziplin und Gewissenhaftigkeit, das traut man uns (gerade noch) zu.

Was sollten deiner Ansicht nach Unternehmen tun?

Gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit. Aber auch ein Umdenken in Bezug auf Arbeitszeit: Es ist nicht relevant, ob ich 80 oder 100 % arbeite, wenn ich meinen Job erledige. Wir sollten weg vom «Verfügbarkeitslohn» und hin zu einem Leistungslohn.

Wo siehst du in der Gesellschaft Handlungsbedarf?

Wichtig ist eine Verbesserung der Altersvorsorge. Die Sozialversicherungen, vor allem das AHV-Minimum, sollten für alle bezahlbar sein. Und auch Personen mit kleinen Teilzeitpensen sollten in einer Pensionskasse versichert sein können. Kinderbetreuung muss verfügbar und bezahlbar sein. Wir müssen aber auch den Fakt akzeptieren, dass Frauen wertvoll für die Volkswirtschaft sind. Wir haben immer noch eine sehr konservative Einstellung, die wir uns in der Schweiz und Liechtenstein nur noch auf Grund des restlichen Wohlstands leisten können. In anderen Ländern kann und will sich kaum ein Paar leisten, dass die Frau zu Hause bleibt. Wir müssen Wahlmöglichkeiten auch für Männer schaffen, um gemeinsam Eltern sein und arbeiten zu dürfen und so die Kinder zusammen aufzuziehen.

Du bist auch Mutter. Wie löst du die Betreuung deiner Kinder?

Gemeinsam mit meinem Mann. Wir sind ein enorm egalitärer Haushalt. Es gibt keinen Ämtliplan, sondern Commitment. Manchmal muss mein Mann mehr unterstützten, insbesondere wenn ich geschäftlich auf Reisen bin, manchmal muss ich mehr übernhemen. Ausserdem profitieren wir von der Kita in der Gemeinde und den Grosseltern als Backup.

Und wie regelt ihr die Finanzen bei euch zu Hause?

Gemeinsame Anlage- oder Finanzthemen werden gemeinsam entschieden. Wir haben aber beide unsere eigenen Finanzen und vor allem damit verbundene Anlageentscheide treffe ich immer selbst.

Wie können wir eine positive Veränderung erreichen?

Durch Überzeugung und die beginnt immer mit Kommunikation und Bewusstseinsschaffung.

Hast du einen Geheimtipp, den du mit uns teilst?

Fokussiere dich auf deine Pläne und verschwende nicht die Zeit damit zu beobachten und zu werten, wie es andere machen. Es gibt nämlich kein «richtig» oder «falsch». Es gibt nur dich und deine Familie und dein Leben.

Du hast einen Wunsch frei: Was wünschst du dir?

Wir sollten mehr arbeiten, um zu leben – und weniger leben, um zu arbeiten. Ausserdem wünsche ich mir mehr Entspanntheit im Berufsalltag. Wir sind oft verbissen, dabei kann das Arbeitsleben doch gut ohne Stempeluhr und mit mehr Freude geschehen. Der Alltag sollte kein Wettbewerb mehr sein, wer länger auf dem Bürostuhl sitzen kann. Mit mehr Sinn fürs (Familien-) Leben ist es auch kein Problem, wenn jemand später zur Arbeit kommt oder mal bei einem kranken Familienmitglied bleiben will oder muss.


Porträt Sandra Thurnheer

Sandra Thurnheer hat an ihren Master in Betriebswirtschaft an den Universitäten Zürich und Rotterdam erlangt. Nach dem Studium stieg sie ins Private Banking ein. Schon früh im Berufsleben hatte sie die Möglichkeit, in der IT an der Schnittstelle Business-IT zu wirken. Prozesse und Systeme wurden neben den Menschen ihre wichtigsten Instrumente. Bald folgte die Selbstständigkeit als Beraterin, anfänglich ausschliesslich in der Finanzbranche. Heute stehen Informationssicherheit, Service-Erbringung und Datenschutz im Zentrum ihres Wirkens. Als Auditorin und Beraterin für diverse technische Normen und Nachhaltigkeit ist sie weltweit engagiert. Als Dozentin wirkt sie an Berufs- und Fachhochschulen schweizweit.

Katrin Mirjam Hasler-Dobratz

Katrin ist Inhaberin und Creative Director einer Agentur für Branding, Kommunikation und Design in Zürich. Sie ist in Liechtenstein aufgewachsen und wohnt dort mitten im Grünen. Sie liebt den Mid-Century-Modern-Stil und streichelt gerne Katzen.

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«Jede Frau sollte sich ein vernünftiges Grundwissen über Finanzen aneignen»

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